Bedingungen für Wirtschaft am Standort verbessern
Über die Planungssicherheit etwa bei den Preisen und die Verbesserung der Zulassungsverfahren hinaus sind weitere Rahmenbedingungen erforderlich, um die großen Potenziale zu heben und insbesondere auch den Produktionsstandort zu stärken.
Der Zukunftsrat empfiehlt

Arzneimittelproduktion am Standort stärken
Zumindest in einem gewissen Rahmen ist es angezeigt, Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen nach Bayern, Deutschland und Europa zurückzuholen, um Liefer- und Versorgungsengpässen entgegenzuwirken. In vielen Bereichen – wir haben insbesondere kaum noch eine Generika-Produktion, die sich mittlerweile auf einige wenige Anbieter vornehmlich in Asien konzentriert – wird es für ein Zurückholen zu spät sein. Umso wichtiger ist es, sich auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen in neue Produkte und Produktion vor Ort zu konzentrieren.
Versorgung ist auch eine Frage der Preisfestsetzung und der Zulassungsverfahren (u. a. der unzureichenden Differenzierung nach speziellen Anwendungsfällen, z. B. in der Schwangerschaft geeignete Blutdruckmittel). Wenn die Bedingungen zu unattraktiv ausgestaltet sind, entstehen bei uns Engpässe, die wir nicht unter Kontrolle haben: ein Produktionsausfall in China führt zu einer Versorgungseinschränkung bei uns. Die Preise liegen bei den Standardmedikamenten in 2/3 der Fälle unter dem europäischen Durchschnitt; Parallelhändler kaufen Ware in Deutschland auf. Der Effekt auf die Versorgungsqualität ist in allen Marktsegmenten sichtbar, auch in kritischen Bereichen (z. B. Onkologie). Daher ist die Ausschreibung bei Impfstoffen auch schon abgeschafft. Ausschreibungen sollten generell nicht bei sensiblen Produkten (z. B. Antibiotika) durchgeführt werden. Eine Medikamentenreserve wäre keine Lösung, da die Haltbarkeit begrenzt ist und eine reine Vorratshaltung im Inland bei bestehendem Bedarf anderenorts ethisch kaum zu rechtfertigen wäre.
Schnellere Translation
Die Translation muss beschleunigt werden, ohne dabei Abstriche bei der medizinischen Sorgfalt zu machen. Die von Fraunhofer, Helmholtz und der Deutschen Hochschulmedizin ins Leben gerufene Proof-of-Concept-Initiative kann dabei als Vorbild dienen. Ihr Ziel ist es, den zeitlichen Abstand zwischen der Entdeckung neuer potenzieller Wirkstoffe und ihrer Weiterentwicklung zu Arzneimitteln durch die Industrie über eine ausschreibungsbasierte Förderung von Kooperationen zu verringern.
Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die konsequente Einführung des Modells des „Physician Scientist“ (auch: Clinical Scientist, Clinician Scientist) mit einer parallelen Wahrnehmung von klinischer Tätigkeit und Forschungstätigkeit (z. B. 30 Prozent der Arbeitszeit in der Klinik, 70 Prozent in der Forschung, ggf. auch blockweise im Wechsel) nach dem Vorbild der USA. Dadurch wäre eine wesentlich bessere Vernetzung von Grundlagenforschung und klinischer Forschung möglich. Bisher gibt es in Deutschland auch wegen der verschiedenen Vergütungssysteme der beiden Schienen nur zeitlich begrenzte Förderprogramme. Hier muss ein Umdenken stattfinden.
Auch an Universitäten sollte translationale Forschung stattfinden können.
Bei Bedarf sind von staatlicher Seite neue Plattformen zu unterstützen, die die verschiedenen Akteure (Wissenschaft, Wirtschaft, Kliniken, Start-ups etc.) zu bestimmten Themen zusammenbringt.
Forschungsfreundliche Rahmenbedingungen
Bayern ist aktuell bei den F+E Ausgaben bundesweit auf Platz vier. Ziel muss die Spitzenposition sein, auch und gerade durch einen stärkeren Fokus auf den Gesundheitsbereich. Während die USA ca. 100 Milliarden Euro in den Medizinbereich investieren, sind es in Deutschland nur rund 10 Milliarden Euro, im Biotech-Bereich vielleicht eine Milliarde.
Forschung ganzheitlicher ausrichten
Die Therapieforschung muss künftig Diagnose, Gerätemedizin, Daten und Pharmazeutik als Teile eines Ganzen begreifen (die Fraunhofer-Gesellschaft betreibt dies beispielsweise unter dem sogenannte „4D Konzept“: Drugs, Diagnostics, Devices, Data) und die Schnittstellen stärker besetzen. Das gilt nicht nur für die Schnittstellen der einzelnen Bereiche untereinander, sondern auch für die Schnittstelle zum Patienten. Wichtig sind auch Geräte zum Training von Ärzten und Pflegepersonal, mit denen sowohl in der Ausbildung wie auch in der Weiterbildung unter anderem der Umgang mit seltenen Komplikationen erlernt werden kann.
Innovationszentren bilden
Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (Helmholtz, Fraunhofer, Leibniz, Max Planck), Universitäten und Krankenhäuser müssen zu Innovationszentren gebündelt werden. Das in der Regierungserklärung vorgesehene Onkologie-Zentrum ist insofern ein Schritt in die richtige Richtung.
Steuerliche Aspekte
Gerade im Pharmabereich sind die Innovationszyklen sehr lang (ca. 10 Jahre, 90 Prozent Ausfallwahrscheinlichkeit) und der Kapitalkostenanteil entsprechend hoch. Marketing und Vertrieb sind auch angesichts des Kundenwerbungsverbots hoch. Gleichzeitig wird die Wirtschaftlichkeit bei den vielen regulierenden Eingriffen tendenziell überschätzt. Beim ROI sieht man durchschnittliche Renditen trotz hoher Risiken. Aus den Gewinnen der Unternehmen werden neue F+E-Vorhaben finanziert. Auch darauf muss bei der Gewinnabschöpfung Rücksicht genommen werden.
Steuerliche Forschungsförderung
Eine steuerliche Forschungsförderung ist für Unternehmen jeder Größenordnung und unter Beibehaltung der Projektförderung erforderlich.
Steuerrechtliche Behandlung von Wagniskapital
Die Anpassung der steuerrechtlichen Verlustverrechnung, wie auf Bundesebene geplant, ist ein Schritt in die richtige Richtung, weitere steuerliche Anreize zur Mobilisierung privaten Vermögens wären sinnvoll.
Ratgeber- und Informationsdatenbank
Es muss eine unabhängige (nicht von Anbieterinteressen geleitete) zentrale Datenbank für die standardisierte und anonymisierte Archivierung von Forschungsdaten eingerichtet werden, die evidenzbasierte Informationen sowie darauf aufbauend Ratgebersysteme und fachspezifische Leitfäden für die Datennutzung bzw. die aus den Informationen abzuleitenden Therapieempfehlungen bereitstellt. Wichtig wäre auch die Entwicklung wissenschaftlich fundierter Auswertungsalgorithmen.
Qualitätsgesicherte, leistungsfähige Plattformen für medizinische Daten
Um die Vorteile der Digitalisierung nutzen zu können, sind qualitätsgesicherte, leistungsfähige Plattformen sowohl für die diagnostischen und therapeutischen Patientendaten (sowie sonstige vom Bürger freiwillig ergänzte Gesundheitsdaten) als auch für Forschungsergebnisse dringend erforderlich. Diese Daten müssen miteinander vernetzt werden können, also z. B. Patientendaten aus klinischen Studien mit Sequenzierungsdaten, Real World Data mit Clinical Data.
So fehlen heute beispielsweise in der Onkologie zuverlässige Datenbanken. Damit wäre anhand der Biopsie und eines Abgleichs der Probe mit weiteren Informationen über den Patienten (z. B. Vor-Medikamentierung, Ernährungsweise, genetische Daten) und allgemeinen Informationen aus Datenbank eine wesentlich zuverlässigere Vorhersage des Therapieerfolgs, eine Resistenzfrüherkennung und die Ableitung einer individuellen Therapieempfehlung möglich.
Entscheidend ist dabei, dass einerseits Sicherheit, Datenschutz und Souveränität des Einzelnen über seine Daten gewährleistet sind, er andererseits aber allen Akteuren die Möglichkeit einräumen kann, auf bestimmte oder alle Daten zuzugreifen. Diese müssen also je nach Bedarf verschlüsselt oder pseudonymisiert bzw. anonymisiert zur Verfügung gestellt und genutzt werden können. Wichtig ist auch, dass nachvollziehbare Verbindungen zwischen den Datenquellen gewährleistet werden. Für ältere und weniger technikaffine Patienten muss eine Lösung entwickelt werden, die im Zweifel höchstes Schutzniveau garantiert („Treuhändersystem“).
Der von der Fraunhofer-Gesellschaft im Rahmen des International Data Space entwickelte Anwendungsfall eines Medical Data Space ist eine solche Plattform auf nationaler und internationaler Ebene. Die neuartige Kombination unterschiedlicher Datenquellen erlaubt es, z. B. Hypothesen aus medizinischen Studien besser und schneller zu validieren. Klinische Studien können beschleunigt, der Austausch von Studienergebnissen gefördert werden. Das Projekt sollte daher möglichst bald von der Pilotanwendung in den Praxiseinsatz überführt werden.
Fachkräftesicherung
Ein Fachkräftemangel ist bereits heute nicht nur bei Ärzten, medizinischem und Pflegepersonal spürbar. Das gilt ebenfalls für die Pharma-Produktion, speziell bei kleineren Unternehmen und in den eher handwerklich bzw. technisch ausgerichteten Berufen, oder in der Orthopädietechnik. Positiv ist, dass zuletzt mehr Jugendliche eine Ausbildung im Pflegebereich begonnen haben: Im Herbst 2016 haben rund 63.200 Jugendliche eine Ausbildung als Gesundheits- und Kranken-, Kinderkranken- oder Altenpfleger sowie als Pflegehelfer begonnen. Gegenüber 2006 ist die Zahl der Ausbildungsanfänger laut Statistischen Bundesamt damit um 43 Prozent gestiegen. Angesichts des weiterwachsenden Bedarfs müssen aber sowohl bei der Ausbildung als auch bei der Personalgewinnung und -bindung im gesamten Gesundheitsbereich noch größere Anstrengungen unternommen werden.
Aus- und Weiterbildung
Es gilt, den hohen Ausbildungsstandard zu halten und dabei auch neue Anforderungen aufzugreifen, insbesondere im Hinblick auf den höheren IT-Einsatz. Dazu zählen jedenfalls für die Medizinerausbildung auch Grundkenntnisse in Datenanalysemethoden und künstlicher Intelligenz. Die Nutzung digitaler Tools (z. B. Einsatzmöglichkeiten von Big-Data-Methoden) sollte in den Lehrplänen / Curricula breit verankert werden (z. B. Medizin, Pflege, Psychologie). Dabei muss unter anderem die Herausforderung bewältigt werden, dass Geräte und Anwendungen hier deutlich schneller veralten.
Darüber hinaus wird ein gutes Verständnis von Statistik bzw. Wahrscheinlichkeiten noch relevanter, um die Ergebnisse aus der Auswertung immer größerer Datenbestände richtig einordnen zu können.
Allgemein müssen interdisziplinäre Aspekte im Studium breiteren Raum erhalten und die Fähigkeit zur Kooperation mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen und weiteren Experten vermittelt werden. Insbesondere Ingenieure und Mediziner müssen besser miteinander kommunizieren. Auch die Fähigkeit zu Translation (Prozessentwicklung, Patentanmeldung etc.) muss als wesentliche Voraussetzung für Anwendungsorientierung Teil der Ausbildung sein.
Im Bereich der Pflegeausbildung ist es wichtig, dass es zu keiner Akademisierung der Pflege kommt. Bei der generalistischen Pflegeausbildung ab Januar 2020 muss darauf geachtet werden, dass der ländliche Raum als Ausbildungs- und Arbeitsregion erhalten bleibt, u. a. durch die Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen bei der Koordination der vorgegebenen Praxisstellen.
Auch die Bedeutung der Weiterbildung ist zur Unterstützung der Ärzte und sonstigen Heilberufe im technologischen Wandel nicht zu vernachlässigen. Über die genannten Aspekte hinaus muss dabei auch berücksichtigt werden, dass mit der personalisierten und individualisierten Medizin die Anzahl der Therapien und Medikamente stark zunimmt.
Personalgewinnung und -bindung
Der Standort Bayern bzw. Deutschland muss auch für Spitzenforscher attraktiv werden. Dazu zählen nicht nur die Gehälter, die beispielsweise für Professoren deutlich unter den weltweiten Marktpreisen liegen, sondern z. B. auch eine technische Ausstattung in den Forschungseinrichtungen auf Spitzenniveau.
Wichtige weitere Ansatzpunkte sind – gerade beim sonstigen Heil- und Pflegepersonal – attraktivere Rahmenbedingungen, um die Verweildauer im Beruf zu erhöhen. Hierzu zählen unter anderem bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die Einrichtung einer Tagespflege am Arbeitsplatz. Dabei ist auch ganz entscheidend, den regionalen Aspekt zu betrachten: Pflegekräfte beispielsweise müssen überall in Bayern verfügbar sein. Dazu müssen für die Menschen im ganzen Land vergleichbar attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen geschaffen werden (vgl. auch oben, Versorgung sichern).
Darüber hinaus wird auch eine gezielte Zuwanderung notwendig sein, wobei bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse darauf geachtet werden muss, das duale System nicht zu unterlaufen.
Investitionsbudgets
punktuell erhöhen
Das zunehmende Gesundheitsbewusstsein führen zu einem erhöhten Anspruchsdenken der Menschen. Dies hat die Bereitschaft zu mehr Investitionen in den Sektor zur Folge. Die hier notwendigen Steigerungen sind auf marktwirtschaftlicher Basis zu organisieren, da Gelder so am effektivsten eingesetzt werden und keine Einzelbranchen durch staatliche Vorgaben benachteiligt werden.
Die staatliche Investitionsförderung für die akut-stationäre Versorgung wurde über die letzte Dekade bundesweit um etwa fünf Prozent reduziert. Im selben Zeitraum stiegen die Umsätze der Krankenhäuser mit stationären Leistungen um 32 Prozent. Seit Mitte der 70er Jahre sank die Investitionsförderung von 20 auf etwa vier Prozent der Umsätze ab. Als Folge besteht im stationären Bereich ein Investitionsstau, der auf 20 bis 50 Milliarden Euro geschätzt wird.
Notwendig sind dabei auch gezielte Investitionen z. B. in Labore. Gegenwärtig gibt es in Bayern im Bereich der Hochleistungssequenzierung von Genomen keine Geräte auf neuestem Stand der Technik. Hier ist die Staatsregierung gefordert, einen Hub zu schaffen, um den Anschluss an die weltweite Spitze nicht zu verlieren. Die notwendigen Investitionen hierfür bewegen sich im zweistelligen Millionenbereich.
Generell sollte die experimentelle Medizin gestärkt und mit der Industrie vernetzt werden (Beispiel Krebs-Grundlagenforschung in Regensburg, die u. a. zeigt, dass Metastasierung anders funktioniert, als bisher gedacht, und die Streuung früher einsetzt).
Angesichts des demografischen Wandels und weiterer Trends wie der Individualisierung empfiehlt sich der Aufbau von altenmedizinischen Zentren in allen Regierungsbezirken. Ein mögliches Vorbild kann z. B. das Zentrum in Holle sein, das u. a. über die bauliche Gestaltung ein Weglaufverhalten verhindert und damit eine Immobilisierung Demenzkranker mit den entsprechenden Nebenwirkungen unnötig macht.
Digitalisierung gezielt fördern
Die Aktivitäten der Plattform Digitale Gesundheit und Medizin am Zentrum für Digitalisierung (ZD.B) einerseits und die geplanten weiteren Projekte wie ein digitaler OP-Saal beim Deutschen Herzzentrum sowie ein Forschungsschwerpunkt „Medical Information Science am neuen Universitätsklinikum Augsburg sind wichtige Schritte, denen noch weitere folgen müssen.
Angesichts der großen und stark wachsenden Bedeutung von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitssektor muss das Thema beispielsweise einen Schwerpunkt beim notwendigen eigenständigen bayerischen KI-Zentrum bilden.
Auch in der Forschungs- und Projektförderung muss ein deutlicher Fokus auf die Erfordernisse der Digitalisierten Medizin gerichtet werden. Entwicklungsbedarf besteht beispielsweise auf den folgenden Feldern:
- Medizinisches „Dashboard“ für den Arzt bzw. Pflegepersonal (geeignete Oberfläche mit Fachsprache)
- Dialog zwischen den Akteuren (z. B. Gesundheitssystem, IKT-Industrie, forschenden Unternehmen) zur Klärung noch offener Fragen bei der Umsetzung digitaler Anwendungen (z. B. Cloud Computing)
- Breitenanwendungen, die security by design und privacy by design sicherstellen
Start-ups und junge
Unternehmen
Offenheit für Innovationen von außen, Kooperation
Start-Ups haben einen anderen Ansatz für Digital Health: sie sind stärker auf Use Case und User Experience fokussiert und brauchen keine große Werbung. Staatliche Lösungen oder Angebote großer etablierter Akteure sind in der Regel eher weniger nutzerfreundlich und verursachen großen Aufwand (Beispiel digitale Diabetes-Tagebücher: Versicherungen und Pharmakonzerne sind bei User Rating und Anzahl der Downloads stark abgeschlagen). Andererseits vertrauen die Bürger deutlich stärker etablierten Akteuren (z. B. Krankenversicherungen, Ärzten), wenn es um ihre Daten geht.
Gründerförderung
Eine noch stärkere Unterstützung bei Ausgründungen ist wichtig, um insbesondere die Ergebnisse der Grundlagenforschung in den Markt zu bringen und am Standort in Wertschöpfung umzusetzen. Dabei sollte die Start- Up-Szene möglichst nicht nur im Dienstleistungs-, sondern auch im Produktbereich gefördert werden.
Gründerzentren mit Anbindung an Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ermöglichen z. B. die Nutzung sehr kostenintensiver Hightech-Hardware, von Laboren, Reinräume etc. Es gilt, dem unternehmerischen Nachwuchs zu helfen, die ersten Schritte selbst zu machen, möglichst zunächst ohne Renditeerwartungen und auch ohne akademische Rituale wie Veröffentlichungspflichten. Wichtig sind dabei insbesondere auch eine Unterstützung bzw. Beratung beim Zulassungsverfahren, im Dialog mit den Krankenkassen und bei der Gestaltung von Selektivverträgen.
Wachstum am Standort
In einigen Bereichen entsteht Wertschöpfung und Beschäftigung nach Entwicklung in Deutschland und erfolgreicher Kommerzialisierung oft in anderen Ländern. Ein Beispiel sind bei uns entwickelte Biotech-Produkte, die in die USA verkauft oder dort lizensiert wurden.
Der Proof-of-concept spielt dabei eine wichtige Rolle, da danach hohe Wertsteigerungen und entsprechende Unternehmensbewertungen schnell möglich sind. Ein weiterer Aspekt ist die Information am Standort über vielversprechende Entwicklungen, aber auch der Gründergeist muss weiter gestärkt werden. Zu überlegen ist schließlich, inwieweit der Staat selbst als Wagniskapitalgeber zur Förderung disruptiver Innovationen auftreten sollte.
Synergien stärken und nutzen
Interessante Forschungsergebnisse und neue Geschäftsfelder eröffnen sich regelmäßig an der Schnittstelle zwischen Branchen und Technologien, wie schon die vbw-Studie Bayerns Zukunftstechnologien (2015) eindrucksvoll belegt hat.
Die Gesundheits- und Medizintechnologien weisen im technologischen Sinn besonders enge Verknüpfungen zu Digitalisierung und IKT, Biotechnologien, Nanotechnologien und Ernährungs- und Lebensmitteltechnologien auf:
Zumindest perspektivisch kann beispielsweise der Impact der Nanotechnologie auf die Gesundheits- und Medizintechnologien auch noch deutlich größer ausfallen.
Darüber hinaus hat das weiter gefasste Thema Gesundheit aber direkte Bezüge zu allen Schlüsseltechnologien, seien es der Einsatz neuer Materialien in der technischen Orthopädie (z. B. 3-D-Druck von Prothesen) oder die ergonomische Ausgestaltung der industriellen Produktion.

Ergänzt werden diese Zukunftstechnologien um wichtige Querschnittswissenschaften wie beispielsweise Ethik, (Wirtschafts-)Psychologie, Soziologie und Recht. Sie spielen gerade im Gesundheitsbereich eine ganz zentrale Rolle.
Die Vernetzung zwischen all diesen Bereichen muss aktiv gefördert werden, sei es im Bereich der Forschungspolitik, der Ausbildung oder auch durch Kooperationen auf Unternehmensebene. Auch Cross-Cluster-Ansätze sind in diesem Sinne der richtige Weg und sollten weiter gestärkt werden.
Zwischen den verschiedenen Sektoren
Im Pharmabereich ist etwa eine bessere Zusammenarbeit zwischen klinischer Forschung und Industrie anzustreben.
In der industriellen Gesundheitswirtschaft können sich neue Chancen z. B. aus der zusätzliche Varianz in der Produktion durch die Erfordernisse der individualisierten Medizin ergeben. Die individualisierte Medizin kann damit zu einem weiteren Treiber auf dem Weg zu Industrie 4.0 werden.
Zwischen den verschiedenen Branchen
Im Bereich der 3D-Simulation bzw. -Visualisierung stehen Gesundheitsbereich, Industrie, Medien und viele weitere Branchen vor sehr ähnlichen Herausforderung bei der technologischen Weiterentwicklung. Eine bessere Vernetzung kann helfen, diese Entwicklung insgesamt zu beschleunigen. In Teilbereichen der Virtual und Augmented Reality liegen zudem die medizinischen Anwendungen auf der Hand (z. B. Einblendung zusätzlicher Informationen im Rahmen von Operationen, Einsatz von Avataren als künstliche Assistenten) und können weiter ausgebaut werden.
Im Bereich des 3-D-Drucks muss die Erforschung neuer Materialien und Produktionstechniken bzw. -konzepten zur Herstellung individualisierter Medizinprodukte, insbesondere von Implantaten als technische oder biologische therapeutische Unikate, vorangetrieben werden.
Aus dem industriellen Bereich könnten beispielsweise Standards für die Koppelung verschiedener Geräte und die sichere Kommunikation (Störungsfreiheit, Echtzeitlösungen etc.) sowie die Kalibrierbarkeit der Messwerte in den medizinischen Bereich übertragen werden, aus dem Banken- oder Versicherungsbereich Lösungen zur Authentifizierung.
Gerade auch auf dem zweiten Gesundheitsmarkt ergeben sich durch Vernetzung zwischen den Branchen zahlreiche neue Geschäftschancen im Gesundheitsbereich. Beispielhaft genannt seien nur
– die Querschnittsbranche Tourismus einschließlich der zahlreichen bayerischen Kur- und Heilbäder
− die Gamesbranche, die dabei helfen kann, den natürlichen Spieltrieb für Therapie- oder Reha-Anwendungen zu nutzen; Beispiele sind etwa Messung und Training der Lungenfunktion für Kinder mit Asthma oder die Nachsorge bei Schlaganfallpatienten.
An den Schnittstellen zwischen Technologie- bzw. Forschungsbereichen
Allergien und insbesondere ihre zuverlässige Diagnostik haben großes Potenzial: Fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung haben z. B. Lebensmittelallergien, das entspricht 750.000 Personen in Bayern und rund 45 Millionen in Europa. Der Einsatz neuer Verfahrenstechniken (Isolierung, Hydrolyse, Hochdruckbehandlung usw.) und Lebensmittelzutaten ermöglicht neue Produkte, für die es einen sehr großen Markt gibt.
Internationalisierung
Auch der internationale Austausch von Studenten und Forschern sollte weiter intensiviert werden, um gemeinsam Synergien zu heben. Hier kann zusätzlich der verbesserte gemeinsame Zugriff auf Forschungsergebnisse und Gesundheitsdaten wesentliche Fortschritte bringen.
Chancen der Regionen in Bayern nutzen
Gerade ländliche Regionen profitieren von spezifischen Profilen, zumal Unternehmen der Gesundheitswirtschaft hier nicht selten zu den größten Arbeitgebern gehören. Diese Stärken gilt es auszubauen. Eine regionale Profilbildung ist vor allem für die Lokalpolitik eine lohnende Aufgabe. Die Initiative „Gesundheitsregionen“ der bayerischen Staatsregierung bietet bereits wertvolle Ansätze. Die prädikatisierten Kurorte haben dabei eine wichtige Funktion.
Auch die gezielte Förderung von Unternehmensansiedelungen in Bayern muss weiter intensiviert werden, über die im Bereich Gesundheit sehr erfolgreichen Metropolregionen München und Nürnberg hinaus.
Umwelt und Gesundheit
Die Erforschung des Wechselspiels von Umwelt und Gesundheit ist ein wichtiges Feld, aus dem sich für die ohnehin bei Umwelttechnologien stark positionierte bayerische Wirtschaft möglicherweise interessante Geschäftsfelder ergeben. Zu Recht soll sich die neue Medizinische Fakultät in Augsburg daher unter anderem dem Forschungsschwerpunkt „Medical Health Science“ widmen. Besonderes Augenmerk sollte darauf gerichtet werden, mehr Faktenorientierung und Sachlichkeit in die Diskussionen über umweltbezogene Gesundheitsrisiken zu bringen. So müssen z. B. sämtliche Grenzwerte, die dem Gesundheitsschutz dienen, strikt evidenzbasiert sein. Erforderlich ist ein klarer Nachweis, oberhalb welcher Menge eine bestimmte Substanz schädlich ist. Diesen Nachweis gibt es beispielsweise bei Feinstaub und Stickoxiden nicht.
Bayerische Gesundheitswirtschaft international besser vernetzen
Bayern kann als Standort für Gesundheitsdienstleistungen im internationalen Wettbewerb besser positioniert werden als bislang. Ein Blick auf die Bedürfnisse ausländischer Kunden – sei es im Bereich Krankenhäuser als Patient, bei der Medizintechnik als Käufer oder bei internationalen Unternehmen als Auftraggeber – ist hier ebenso hilfreich wie eine Marketinginitiative. Gesundheits- und Tourismuswirtschaft haben hier gleichermaßen große Erfolgsaussichten. Auch die Qualifikation von ausländischen Fachkräften in Bayern trägt zur internationalen Vernetzung bei.
Neue Lösungen für die Entwicklungshilfe
Die Entwicklung und der Einsatz neuer Technologien kann auch indirekt dem Standort Bayern bzw. Deutschland nützen, wenn sie in Entwicklungsländern zum Einsatz kommen und dort die Versorgung verbessern und effizienter organisieren helfen. Als sinnvoll erweist sich dabei anstelle einer Fokussierung auf einzelne Krankheiten insbesondere eine Unterstützung des Gesundheitssystems im Ganzen, z. B. durch einen besseren Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsinformationen (z. B. Impfungen und Impftermine). Erforderlich dafür sind die Entwicklung relevanter Informationsangebote ebenso wie das Bereitstellen eines Zugangspunkts, wo sie kostenlos abgerufen werden können. Mit einer globalen Informationsvernetzung (z. B. dem Health Information System Program, gehostet an der Universität in Oslo) können u. a. Krankheitsausbrüche verfolgt oder der notwendige Personaleinsatz prognostiziert und geplant werden. Vorteile für unseren Standort liegen unter anderem in einer effizienteren Gewährleistung von Entwicklungshilfe und der Bekämpfung von Fluchtursachen.
Empfehlungen an Unternehmen
Eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln
Jedes Unternehmen, unabhängig von Branche und Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit, muss seine eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln. Das gilt auch für den Gesundheitsbereich, für Ärzte und erst Recht für Krankenhäuser. Aktuell hat allerdings mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäuser noch keine Digitalisierungsstrategie. Es werden hauptsächlich Pilotprojekte durchgeführt, und noch keine gesamtheitlich ausgerollten Digitalisierungsinitiativen. Wichtige Hemmnisse, die es zu beseitigen gilt, sind Finanzierungsfragen und die mangelnde Kompatibilität bzw. Interoperabilität der vorhandenen IT-Lösungen sowie eine fehlende Standardisierung der Prozesse. Ähnliche Herausforderungen gibt es auch im Bereich der niedergelassenen Ärzte, die z. B. alte Software nutzen, weil sie die Datenmigration nicht hinbekommen.
Die Erfahrungen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen zeigen, dass sich die digitale Transformation „lohnt“. Der mögliche Mehrwert – über rein wirtschaftliche Aspekte hinaus – wurde oben bereits beschrieben und muss noch stärker in den Vordergrund gestellt werden.
Digitale Angebote – gemeinsam mit Krankenkassen – für Patienten
Interessante neue Geschäftschancen können sich dann für Unternehmen ergeben, wenn sie in Kooperation mit den Krankenkassen und / oder über die Nutzung von Plattformen für Gesundheitsdaten z. B. Schulungsprogramme, Therapiehinweise und Prävention anbieten.
Einsatz innovativer Lösungen
Auch die Unternehmen selbst sind gefordert, wenn es um die Erschließung neuer Anwendungsfelder für innovative technologische Lösungen im Gesundheitsbereich geht. So kann die Blockchain Technologie beispielsweise im Pharmabereich zur Fälschungssicherheit und zur Nachverfolgbarkeit von Arzneimitteln beitragen, und Smart Contracts können z. B. auch im Versicherungsbereich die Abwicklung von Verträgen automatisieren und damit massiv erleichtern.
Beteiligung an freiwilligen unternehmensübergreifenden Verfahren
Gerade im Pharmabereich, aber nicht nur dort, ist eine Beteiligung an freiwilligen Verfahren bzw. der Aufbau neuer unternehmensübergreifender Lösungen sinnvoll, zumal so zusätzliche Regulierung oftmals verhindert werden kann. Eine höhere Effizienz ermöglichen beispielsweise Joint Audit Verfahren, wie es sie für Hilfsstoffe, Packmittel oder Transportunternehmen gibt.
Ein weiteres Beispiel ist der sichere Vertrieb von Arzneimitteln: Der Hersteller darf den Vertriebsweg nach geltendem Recht nicht verfolgen. Nicht zuletzt die aufgrund der hiesigen Preispolitik und Zulassungsverfahren entstehenden Engpässe sind ein Einfallstor für Fälschungen. Hier kann eine Beteiligung an einer freiwilligen Initiative wie Secure Pharm helfen.
Weitere Rahmenbedingungen
Auch für die Gesundheitswirtschaft ist es entscheidend, dass eine Produktion am Standort Bayern und Deutschland im Hinblick auf Flexibilität und Kosten im internationalen Verglich wettbewerbsfähig bleibt bzw. noch konkurrenzfähiger wird.
Hierzu zählen zunächst die Arbeitskosten. Sie sind zugleich Voraussetzung und Ergebnis einer effektiv arbeitenden Gesundheitswirtschaft. Ein wesentliches Element sind verkraftbare Lohnzusatzkosten, die dauerhaft unterhalb der Grenze von 40 Prozent bleiben.
Das deutsche Arbeitszeitrecht ist insbesondere mit seinen täglichen Höchstarbeitszeiten wenig flexibel. Gerade die Gesundheit hält sich aber nicht an einen festen Stundenplan. Hier sollte zumindest der europarechtlich zulässige Rahmen ausgeschöpft und umgehend auf eine Betrachtung der Wochenarbeitszeit umgestellt werden.
Wettbewerbsfähige Energiekosten sind insbesondere – aber nicht nur – für die Pharmaindustrie ein kritischer Faktor. Sie sind im internationalen Vergleich zu hoch und müssen dringend auf ein verträgliches Niveau gebracht werden, z. B. durch eine Absenkung der Energiesteuer auf das europarechtlich vorgegebene Mindestniveau.
Die Kommunikationsinfrastruktur muss flächendeckend hochleistungsfähig ausgebaut werden. Die Ziele auf Bundes- und Landesebene zum Glasfaser- und Mobilfunkausbau gehen insoweit in die richtige Richtung, sollten aber noch schneller erreicht werden. Der Bund will bis 2021 u. a. Krankenhäuser und soziale Einrichtungen der öffentlichen Hand sowie bis 2025 alle Haushalte mit Glasfaser versorgen; bei der Telemedizin oder auch der Nachsorge reicht ein stabiles schnelles Netz bis zum Krankenhaus jedoch nicht, es muss bis zum Patienten reichen.
Auch die Telematikinfrastruktur muss zügig weiterentwickelt werden. Notwendig ist eine Einbeziehung aller Leistungserbringer, auch z. B. der Pflegeeinrichtungen, und es muss Interoperabilität sichergestellt werden.
Verkehrswege sowie Mobilitätsangebote spielen eine entscheidende Rolle im Gesundheitsbereich. Zu den Vorteilen des autonomen Fahrens – bei dessen Entwicklung unsere Automobilindustrie eine führende Rolle einnehmen muss – zählen auch die Potenziale für die flächendeckende Versorgung mit Arzt- und Pflegeleistungen. Einerseits kann der Arzt oder Pfleger während der Fahrt zum Patienten weitere Aufgaben wahrnehmen, z. B. Berichte über bereits absolvierte Patientenkontakte, Abrechnungen oder digitale Angebote, andererseits wird auch der Patient wesentlich mobiler und kann eher als heute zu den entsprechenden Einrichtungen transportiert werden.
Unnötige Bürokratie muss nicht nur in der Abrechnungs-, Preisfestsetzungs- und Erstattungssystematik abgebaut bzw. von vornherein vermieden werden, sondern das Thema spielt für den Gesundheitsbereich auch darüber hinaus eine wichtige Rolle, z. B. bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen oder für die Entwicklung von Start-Ups und jungen Unternehmen.
