Der Bedeutungszuwachs von technologischen und systemischen Schnittstellen erfordert mehr Inter- und Transdisziplinarität sowie Mehrfach-Qualifikationen. Die Berufsmärkte sind volatiler geworden und erfordern deshalb vom Einzelnen größere Themen- und Standortflexibilität als in der Vergangenheit.
Um vernetzte und komplexe Probleme zu bewältigen, muss das Bildungssystem auf Kooperation ausgelegt sein und die Fähigkeit zur Kooperation mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen und mit Experten außerhalb des Wissenschaftsbetriebs vermitteln.
Das gelingt nur, wenn eine sektorale Durchlässigkeit erreicht wird. Hierfür muss die Kompatibilität von Bachelor- und Masterstudiengängen aus unterschiedlichen Fachrichtungen ausgebaut werden. So könnte man beispielsweise einen Biotechnologie-Bachelor für ein Masterstudium in Informatik motivieren. Ebenso sind Medizin- und die Ingenieursfächer bereits auf dem Niveau der jeweiligen Studiengänge zur inhaltlichen Vernetzung empfohlen. In die Mediziner-Ausbildung müssen technische Fächer aufgenommen werden; die Ausbildungsordnung der Mediziner (Lernzielkatalog) und die Approbationsordnung für Ärzte sind dringend anpassungsbedürftig. Die Mechatronik mit ihrem Kernziel, intelligente Mechanismen durch bestmögliche Integration von Maschinenbau, Elektrotechnik/Elektronik und Informatik zu schaffen, ist hervorragend geeignet, um Abgrenzungen zwischen klassischen Fakultäten abzubauen.
Interdisziplinarität setzt einerseits die verstärkte Zusammenarbeit über Fakultätsgrenzen hinweg voraus, andererseits ist eine gemeinsame Hochschulstrategie erforderlich. Ausbildungsangebote können vielfach nicht mehr auf einzelne Fakultäten beschränkt werden (z.B. Big Data, Games Engineering). Ein Anreiz für mehr Interdisziplinarität an Hochschulen könnte die Bildung themenbezogener Kooperationsplattformen – auch zwischen Universitäten und Fachhochschulen – für gemeinsame Abschluss- und Promotionsarbeiten sein (System „Verbundpromotion“). Die Grundausbildung (Bachelorphase) muss generalistisch ausgerichtet sein, während die fortgeschrittene Ausbildung (Masterphase bzw. strukturierte Promotion) der Spezialisierung dient. Diesen Ansatz verfolgt der BSc-Studiengang „Ingenieurwissenschaften“ an der TU München, der für zahlreiche vertiefte Ausbildungsoptionen (Masterstudium) anschlussfähig ist.
Die Entwicklungen hin zur Industrie 4.0 und zu Smart Products verstärken die firmenübergreifende Vernetzung von Wertschöpfungsketten. Die frühzeitige, auf die Erfordernisse des Endprodukts zugeschnittene Abstimmung in der Wertschöpfungskette ist oft ein Problem. Dies führt z.B. zu Aufschlägen bei den Qualitätsanforderungen von Einzelkomponenten, die von Zulieferer zu Zulieferer weitergereicht werden und so zu einer Übererfüllung der Erfordernisse und zur Kostensteigerung beitragen. Systemkompetenz wird zum entscheidenden Faktor.
Um derartige Abstimmungsprozesse systematisch zu verbessern und die Grundlagen sowie erforderlichen Kompetenzen wissenschaftlich fundiert zu erarbeiten, ist ein Institut oder Zentrum für „Systems Engineering“ erforderlich; es sollte durch mehrere Fachkompetenzen breit und interdisziplinär aufgestellt sein. Ein ganzheitlicher Ansatz unter Einbeziehung von Arbeitswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre, Informatik, Ingenieurwissenschaften, Psychologie, Sozialwissenschaften u.a. fehlt in der bundesdeutschen Hochschullandschaft. Hier sollte Bayern die Vorreiterrolle übernehmen.
Dringlich sind die Förderung von dualen Studiengängen und deren Einführung an Universitäten. Dadurch wird vor allem der lernende Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gestärkt. Empfohlen wird deshalb die Initiative Bayern.Dual, mit Pilotprogrammen, die von Staat und Wirtschaft gemeinsam anschubgefördert werden.
Gründerzentren sind wirksame Bindeglieder zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie verstärken das Engagement und Interesse von Studierenden, über die Grenzen ihres akademischen Studiums hinauszuwachsen. Gerade für mittelständische Unternehmen können sich hieraus wertvolle Innovationsanstöße ergeben.
Wir benötigen untereinander vernetzte (digitale) Gründerzentren in allen Regierungsbezirken, die in der Nähe einer oder mehrerer Hochschulen angesiedelt werden, die von Anfang an eng eingebunden werden müssen. Auch die Einbindung der etablierten regionalen Unternehmen und Unternehmensnetzwerke ist sicherzustellen.
Um den Internet- und Medienstandort Bayern international zu stärken, muss ein sichtbarer Kristallisationspunkt geschaffen werden. Dieser benötigt Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Professionalisierung und Internationalisierung von Gründern und zur Vernetzung von Teilbranchen, wie z.B. der Medien- und Gamesbranche, und weiteren davon profitierenden Unternehmen.
Entscheidend ist neben der reinen Infrastruktur auch das „Klima“, das den Kontakt zwischen Gründern, mit etablierten Unternehmen, Wissenschaft, Verwaltung, Venture- Capital-Gebern und Wirtschaftsorganisationen fördern muss. Ein wichtiger Mehrwert sind für viele Gründer ein niederschwelliger Zugang und kurze Wege. Vorbild sollten die digitalen Leitregionen und Gründer-Hotspots der Welt sein.
Die Aktivitäten und Unterstützungsangebote für Gründer werden über eine zentrale bayerische Kommunikationsplattform bekannt gemacht.
Um ihre Mitarbeiter gezielt interdisziplinär zu qualifizieren, müssen die Unternehmen auf die Universitäten zugehen. Besonders geeignet sind Forschungssemester für Unternehmensmitarbeiter in der universitären Forschung. Damit es bei den Mitarbeitern nicht zu finanziellen Einbußen kommt, sollte vonseiten der Wirtschaft die Finanzierungslücke zwischen dem regulären Gehalt und der universitären Bezahlung überbrückt werden.
Umgekehrt müssen Hochschullehrer zeitweise (z.B. bis zu 5 Jahre) in die Industrie wechseln können, ohne Nachteile beim Karriereaufstieg und bei der Altersversorgung zu erleiden. Führende Hochschulen Europas, z. B. die ETH Zürich, bieten diese Möglichkeit seit Langem. Das bayerische Hochschullehrergesetz muss entsprechend angepasst werden.
Zu einer echten Innovationskultur gehören förderliche Rahmenbedingungen für Firmenausgründungen aus der Forschung. Im Bereich der Hochschulen sind gründungsaktiven Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten Freisemester zu gewähren. Entrepreneurship-Kurse an Hochschulen dürfen keine Ausnahmeerscheinung bleiben. Ausgründungen gehören in die akademische Leistungsbilanz. Bei Neuberufungen sind unternehmerische Erfahrungen zu berücksichtigen.
Der Wert des geistigen Eigentums ist in der universitären Forschung erheblich unterbewertet. Hier liegt eine der Ursachen für den vielfach mangelhaft ausgeprägten „entrepreneurial spirit“. Diesem Mangel kann durch ein systematisch wirksames Scouting-System entgegengewirkt werden, indem die Wissenschaftler für die unternehmerische Relevanz ihrer Erfindungen sensibilisiert werden, verbunden mit professioneller Hilfestellung bei Patent- und Gebrauchsmuster-Anmeldungen.
Generell sind Maßnahmen zur Etablierung einer Intra- und Entrepreneurship- Kultur bei Mitarbeitern im Forschungssektor sowie bei Hochschulabsolventen umzusetzen. Die Unternehmensgründung als alternativer Karriereweg für wissenschaftliche Mitarbeiter muss gleichwertig positioniert werden neben dem Verbleib am Forschungsinstitut bzw. an der Hochschule oder dem Wechsel in die Industrie. Hier wird Handlungsbedarf im Bayerischen Hochschulgesetz und im Bayerischen Hochschulpersonalgesetz gesehen.
All diese Maßnahmen haben nichts mit dem gelegentlich beschworenen Schreckgespenst „Ökonomisierung der Wissenschaft“ zu tun. Sie haben vielmehr das Ziel, die Innovationskraft der wissenschaftlichen Forschung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft zu stärken.
Digitales Lernen
Im gesamten Bildungsbereich müssen digitale Technologien als Werkzeuge zur Verfügung stehen. Bildungsinhalte müssen die Digitalisierung aufgreifen und umsetzen.
Dazu müssen Schulen flächendeckend mit der erforderlichen Infrastruktur ausgestattet und auf die Nutzung neuer Technologien eingestellt sein. Lehrmaterialien müssen die Potenziale des heute verfügbaren Wissens voll ausschöpfen, damit den Schülern lebens- und praxisnah die richtigen Kompetenzen vermittelt werden. Die 1:1-Umsetzung heutiger Schulbücher als E-Book genügt nicht. Entscheidend sind die Vernetzung und der jederzeitige Zugriff auf weiterführende Informationen. So ist bei Verlinkungen nicht maßgebend, ob die dahinter liegenden Informationen jederzeit von der Schuldbehörde umfassend kontrolliert werden können – dem Schüler muss vielmehr die Fähigkeit zur kritischen Einordnung und richtigen Nutzung von Daten und Fakten vermittelt werden.
Digitalisierung in Aus- und Weiterbildung
Digitale Kompetenzen müssen zum selbstverständlichen Gegenstand jeder Ausbildung werden – von der Beherrschung gängiger Anwendungen über den sicheren Umgang mit verfügbaren Informations- und Kommunikationskanälen bis zu einem grundlegenden Verständnis von Struktur und Aufbau von IT-Systemen einschließlich der damit verbundenen Sicherheitsfragen. Hinzu kommen spezielle Kenntnisse für die jeweiligen Bereiche, wie etwa Wissen über E-Commerce für den Handel und Vertrieb.