Insgesamt ist die deutsche Gesellschaft nicht negativ eingestellt. Echte Begeisterung für technologischen Fortschritt ist allerdings auch nicht festzustellen, und einzelne technologische Trends werden sehr kritisch gesehen. Wenn die Gesellschaft Vorbehalte gegenüber neuen Technologien oder Anwendungen pflegt, kann sich das als Wettbewerbsnachteil auswirken. Der Staat ist daher gefordert, ein Klima der Technologieoffenheit und Innovationsfreudigkeit zu schaffen. Zentral ist dabei, den gesellschaftlichen Nutzen zu vermitteln.
Es gilt, rechtzeitig Chancen zu betonen und Risiken realistisch einzuordnen, um Ängste nicht entstehen zu lassen oder vorhandene positiv aufzulösen. Der Staat darf weder selbst sofort eine Abwehrhaltung aus dogmatischen Gründen einnehmen noch eine solche in der Bevölkerung befördern
Die Einbindung der Gesellschaft erfolgt heute öfter als früher auch proaktiv, was grundsätzlich gut ist. Der gesellschaftliche Diskurs muss allerdings so geführt werden, dass Risiken nicht alle Chancen überlagern. Beim autonomen Fahren kann das trotz des letztlich ausgewogenen Ergebnisses der Ethik-Kommission bezweifelt werden: Es gibt kein Bild, das in der Gesellschaft zu diesem Thema präsenter wäre als das des Autos, das sich zwischen der Verletzung zweier Personen(gruppen) entscheidet. Ethik sollte als Innovationstreiber verstanden und eingesetzt werden: als das Aufzeigen von Chancen, wie neue Anwendungen zum Nutzen des Menschen eingesetzt werden können.
Zu Recht betont der Koalitionsvertrag auf Bundesebene, das „Zeitalter der Digitalisierung als Chance für mehr und bessere Arbeit nutzen“ zu wollen. Es fehlen jedoch die chancenorientierten Ansätze. Im Hinblick auf den Arbeitsschutz denken die Koalitionäre beispielsweise nur an mögliche psychische Belastungen durch Digitalisierung. Zielführend wäre es, den Fokus auf positive Wirkungen der Arbeit zu richten und aus den entsprechenden Forschungsergebnissen Gestaltungsansätze für Arbeitsmittel, -umgebungen und Organisationsstrukturen zu entwickeln, die Faktoren wie Motivation, Identifikation und Vertrauen stärken. Digitale Modelle helfen, mit der Komplexität der Arbeitswelt umzugehen und Zusammenhänge zu veranschaulichen, beispielsweise bei der Veränderung von Produktionsprozessen. Diese Möglichkeiten müssen noch stärker bekannt gemacht und die intuitive, interaktive Ausgestaltung gefördert werden. Auch im eigenen Bereich (Ministerien, Behörden, staatlich getragene Agenturen etc.) müssen die Potenziale digitaler Technologien stärker ausgeschöpft werden, um eigenes Erfahrungswissen aufzubauen und transportieren zu können.
Um Technologie- und Innovationsbegeisterung in der Breite zu wecken, muss der Staat die verschiedenen positiven Aspekte transportieren. Neue Technologien haben auch große ökologische und soziale Potenziale für die Gesellschaft. Diese müssen stärker betont und transportiert werden, beispielsweise ihr Beitrag für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele (vgl. Kachel 04.2), um von der Notwendigkeit technologischen Fortschritts zu überzeugen, Vorbehalte zu beseitigen und das entsprechende Potenzial im gesamtgesellschaftlichen Interesse entfalten zu können.
Eine stärkere Missionsorientierung (vgl. Kachel 02.4.1, Ausklapper 5) mit positiv formulierten Zielen wird ebenfalls einen Beitrag leisten. Am Beispiel der „Gen-Schere“ CRISPR / Cas9 lassen sich die bisherigen Mechanismen gut illustrieren. Mit diesem Genom-Editierungsverfahren kann das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen verändert werden. CRISPR / Cas9 ist um so viel präziser und vor allem auch kostengünstiger als bisherige Methoden, dass es sich um eine Schlüsselanwendung und bedeutsame Sprunginnovation der Biotechnologie handelt. In Deutschland und Europa werden allerdings vorrangig die Gefahren und ethischen Bedenken debattiert. Die Gegner der neuen Technologie argumentieren gezielt gegen die möglichen positiven Visionen – Bekämpfung des weltweiten Hungers, von schwerwiegenden Erkrankungen etc., Verringerung von Umweltrisiken – damit, dass in der Praxis das Verfahren ja nicht für diese Ziele genutzt werde und nur dazu diene, die Marktposition einzelner Unternehmen etwa aus der Nahrungsmittelindustrie weiter auszubauen. Dass die Verfahren entsprechend eingesetzt werden, dürfte zutreffen. Bei der Argumentation wird aber übersehen, dass bei uns weder eine echte Zielorientierung auf diesem Gebiet vorliegt noch entsprechende Aktivitäten der Unternehmen gefördert würden. Im Gegenteil: Der EuGH hat 2018 entschieden, dass das neue Verfahren der Gentechnik zuzuordnen ist. Im Bereich der Nutzpflanzen fehlt damit bei uns gänzlich der Markt: Eine europaweite Bewegung gentechnikfreier Regionen, der in Deutschland alle Länder mit Ausnahme von Sachsen angehören, unterbindet den Anbau gentechnisch veränderter Organismen. Was derzeit an wirtschaftlichen Anwendungen im Bereich Genom-Editierung zu beobachten ist, erfolgt also tatsächlich nur im Ausland und aus wirtschaftlichen Eigeninteressen der Unternehmen, ist aber als grundsätzliches Argument zur Entkräftung positiver Visionen nicht geeignet, weil dafür der Rahmen fehlt. Dass eine neue Technologie wirtschaftlich sehr erfolgreich eingesetzt werden kann, sagt nichts über ihren gesellschaftlichen Nutzen aus.
Schließlich muss der Staat auch die Wissenschaftskommunikation stärker fördern. Teil davon sind auch die Museen, namentlich Forschungsmuseen wie das Deutsche Museum in München, das weltweit größte naturwissenschaftlich-technische Museum. Ein weiteres Beispiel ist die Neukonzeption des Museums Mensch und Natur im Schloss Nymphenburg als BIOTOPIA, Museum für Life Sciences und Umweltwissenschaften.