Das Erstattungssystem ist extrem komplex und von einer Vielzahl von gesundheitspolitischen Spargesetzen geprägt. Heute gibt es mehr als 30 verschiedene Markt- bzw. Preisregulierungsinstrumente im medizinischen Sektor, die teilweise kumulativ angewandt werden. Ziel muss sein, jeweils nur ein Preisregulierungsinstrument pro Marktsegment zu haben.
Ein Beispiel ist der „Zwangsrabatt“ (Herstellerabschlag für Arzneimittel im Sinne eines Mengenrabatts), der heute z. B. für erstattungsfähige Arzneimittel ohne Festbetrag gesetzlich auf sieben Prozent festgelegt ist und je nach Finanzlage der GKV in Abhängigkeit von externen Ereignissen (Dotcom-Blase, Bankenkrise etc.) schwankt. Neben Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) und Festpreisen, Ausschreibungen und Selektivverträgen ist kein Platz mehr für einen zusätzlichen Rabatt.
Ein weiteres Beispiel sind die Apotheken: Das SGB V gibt ihnen eine (Re-) Importquote von mindestens fünf Prozent vor. Sie führt zu erheblicher zusätzlicher Bürokratie und sollte abgeschafft werden.
Ausschreibungsverfahren machen erst ab einer gewissen kritischen Menge an Anbietern Sinn. Es wird daher zu Recht diskutiert, die Regularien zu ändern. Denkbare Ansätze sind der Einsatz von Ausschreibungsverfahren erst ab mindestens vier Anbietern oder die Erteilung des Zuschlags an mindestens drei Anbieter.
Die Erstattungshöchstbeträge für Gruppen vergleichbarer Fertigarzneimittel (Festbetragsmarkt) führen zu Kellertreppeneffekten. Nicht alle Hersteller können die Preise entsprechend anpassen. Aufzahlungsprodukte treffen vor allem diejenigen Gruppen, für die keine gleichwertigen Arzneimittel ohne Aufzahlung verfügbar sind (Kinder, Ältere, besondere Darreichungsformen, z. B. für Menschen mit Schluckbeschwerden). Auch hier ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich.
Die sogenannten „Mondpreise“ für Medikamente sind oft in Wahrheit keine. Mehr als 40 Prozent der Preisunterschiede sind auf die Größe der Patientenpopulation zurückzuführen. Weitere Elemente der Preisbildung sind die Fixkosten sowie die Innovationshöhe. All das muss der Preis abbilden, um Innovationen zu fördern. Das sogenannte Risk Sharing (Erstattung nur bei Nutzen) ist auch in Deutschland möglich und in diesem Bereich grundsätzlich sinnvoll, problematisch ist dabei allerdings die Compliance (Therapietreue) des Patienten. Hier können perspektivisch neue technologische Ansätze (etwa Medizin, die registriert, ob sie termingerecht eingenommen wurde, oder „Depotlösungen“, d. h. Präparate, die die Dosis nach und nach abgeben) die Lösung darstellen. Das muss wiederum bei der Forschungsförderung berücksichtigt werden.
Wir brauchen eine deutliche Verkürzung des Verfahrens gerade auch für die Aufnahme digitaler Gesundheitsanwendungen in die Regelversorgung. Bisher gibt es in den Bereichen digitale „Arznei“ und Telemedizin noch keine sogenannte EBM-Ziffer (einheitlicher Bewertungsmaßstab), die für die Abrechnung durch den Arzt mit der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich wäre.
Die Erprobung, Nutzenbewertung und Kostenbetrachtung von innovativen medizintechnischen Verfahren und Produkten müssen auch der Entwicklung hin zu einer zunehmend individualisieren Medizin Rechnung tragen und dafür neue Methoden (u. a. Entwicklung geeigneter Bewertungskriterien, Anpassung klinischer Prüfungen und Studien) entwickeln. Nur so ist eine Kostenübernahme von Biomarker-Diagnostik/personalisierter Therapie durch die Krankenkassen möglich. Die klassischen Methoden stellen auf statistische Werte ab und stoßen an ihre Grenzen, wenn die Zielwerte auf der individuellen Ebene definiert werden müssen. Die Herausforderung besteht also darin, auf Basis gesicherten wissenschaftlichen Handelns Nutzen- und Risikobewertungen zu implementieren, die sich auf das individuelle Behandlungsziel beziehen. Für allgemeine Aussagen zum Nutzen bestimmter Verfahren sind längere Beobachtungszeiträume und entsprechend auch längere Förderperioden erforderlich. Um die Zulassung nicht hinauszuzögern, müssen dafür schneller zu überprüfende Parameter definiert werden. Dies muss unter Beteiligung von Wissenschaft und forschender Industrie erfolgen.
Parallel zur Entwicklung neuer Methoden und als Grundlage für die Neuausrichtung von Zulassungsverfahren, Preisfestsetzung und Erstattungsbedingungen müssen die Auswirkungen der bisherigen Verfahren – gerade auch im internationalen Vergleich – im Hinblick auf Versorgungsqualität, Kosten und Wettbewerbsfähigkeit bzw. Leistungsfähigkeit unserer Unternehmens- und Forschungslandschaft evaluiert werden.
Dabei muss auch untersucht werden, ob von den Preissetzungsmechanismen die richtige – gesamtgesellschaftlich erwünschte – Lenkungswirkung ausgeht, also z. B. Forschungsanreize für Therapiegebiete mit hohem medizinischen Bedarf gesetzt werden. Dabei ist eine ganzheitliche Sicht (nicht begrenzt auf Klinik, Zahnmedizin, Pflege usw.) erforderlich, die beispielsweise Nachsorge und Folgebehandlungen berücksichtigt. Auf Grundlage dieser Ergebnisse muss regelmäßig im Erstattungsverfahren nachgesteuert werden.